Martin R. aus der Schweiz sagt heute von sich selbst, dass er süchtig nach virtueller Liebe war. In einem sehr persönlichen Interview mit Love Is More erzählt er uns ausführlich, wie es dazu kam und wie er sich letztlich davon befreien konnte.

LIM: Martin, du sagst von dir, dass du süchtig nach virtueller Liebe warst. Was muss ich mir darunter vorstellen und wie fing das überhaupt an?

Martin: Viele werden sich jetzt natürlich fragen: Süchtig nach Liebe? Wie kann man von etwas so Schönem denn süchtig werden? Nun ja, es war vielmehr eine billige Kopie, etwas das sich für „Liebe“ ausgibt. Ich spreche hier von Pornografie. Bei mir ging es darum, eine Leere, die ich im Herzen hatte und die mich traurig machte zu betäuben. Pornografie gaukelt dir vor, dass du geliebt bist, also Annahme findest. Die Menschen, Darstellerinnen und Darsteller in den Videos lächeln in die Kamera, sie flirten und signalisieren: „Du bist gewollt, fühl dich willkommen bei uns. Bleib ein bisschen hier um zu entspannen und die Zeit zu genießen.“ Mich zog das damals unwahrscheinlich an. Darin hatte ich das „ideale“ Mittel gefunden, um Frust, Langeweile, Trauer und Leere zu kompensieren. Immer dann, wenn ich mich ungeliebt fühlte, ging ich ins Internet.

Aus der regelmäßigen Gewohnheit entstand eine Sucht. Ich hatte meinen Erstkontakt mit Pornografie mit 13 Jahren, das waren damals Romane mit sexuellem Inhalt, die mich so faszinierten. Später, als das Internet aufkam, waren es erste Bilder, die ich mir immer häufiger ansah. Dann kam irgendwann das Breitband-Internet auf und damit für mich die Möglichkeit, Videos zu laden und konsumieren. Ich erinnere mich an meine Schulzeit, als ich mich aufs Abitur vorbereitete. Ich hatte Stress und war angespannt. So wählte ich die virtuelle Liebe am Laptop und sah mir Videos an, um für eine Weile die Anspannung hinter mir zu lassen und zu vergessen. In dieser Zeit konsumierte ich durchschnittlich etwa 9-12 Stunden Pornografie pro Woche. Privat hatte ich quasi keine Hobbies mehr, mein Leben drehte sich nur noch um Schule und die eigene Entspannung vor dem Laptop. Ich machte keinen Sport mehr, zog mich aus sozialen Bindungen zurück und isolierte mich zunehmend, um meine private „intime“ Zeit vor dem Bildschirm zu verbringen. Es war der Horror.

Meine Ehe, von virtueller „Liebe“ zerstört

Später, als ich eine Frau kennen lernte und mit ihr eine Beziehung einging, hoffte ich, das Problem würde sich nach der Heirat automatisch erledigen. Für ein paar Wochen funktionierte dies auch ganz gut. Aber meine Sucht war stärker. So fand ich mich eines Tages wieder vor dem Laptop, um heimlich zu konsumieren. Da ich mich vor Scham niemandem anvertrauen wollte, blieb es im Verborgenen bis meine damalige Frau mich eines Tages vor dem Laptop erwischte. Das war zu einem Zeitpunkt, an dem die Sucht mich absolut beherrschte. Ich war nicht mehr in der Lage, meinen Konsum zu drosseln oder gar zu stoppen.

Als Single oder Unverheirateter ist man dazu geneigt anzunehmen, dass der Pornografiekonsum vor dem Traualtar ende und die eheliche Sexualität diesen ersetze. Das ist eine schöne Vorstellung. Nur leider entspricht dies in keiner Weise der Realität. Vielmehr wird das Problem in der Ehe nur noch drastischer, da man aufgrund des Verlangens nach unmittelbarer und stets verfügbarer Lust seinen Ehepartner systematisch zu betrügen beginnt. Warum sollte man mit der Intimität warten, bis der Ehepartner in Stimmung ist, wenn das Internet voller verlockender Angebote ist, die sofortige Entspannung garantieren?

Das Problem besteht unter anderem in der sofortigen Verfügbarkeit und Wirksamkeit der Pornografie. Der Konsument / die Konsumentin kann sich damit jederzeit in eine Art Rauschzustand versetzen, in dem das Gehirn körpereigene Glückshormone ausschüttet, die sowohl betäubend als auch angstlösend wirken. Die berauschende Wirkung dieser Neurotransmitter ist also Ursache für die Sucht.

Ich befürchte, dass der effizienteste Weg eine Ehe zu zerstören darin besteht, den Ehepartner sexuell zu betrügen. Die Pornografie weist hierbei eine unfassbar zerstörerische Kraft auf.

LIM: Wie und wo fandest du Heilung von deiner Pornografieabhängigkeit?

Martin: Nachdem ich alle möglichen und auch unmöglichen Methoden versucht hatte, um mich an den eigenen Haaren aus dem Sumpf zu ziehen, gab ich es irgendwann auf. Je mehr ich gegen meine Sucht ankämpfte, desto enger zog sich die Schlinge um meinen Hals. Ich schaffte es maximal zwei Wochen ohne Pornos und ich fand alle erdenklichen Wege, um ins Internet zu kommen. Die Sucht forderte ihren Tribut. Ich hatte zu dieser Zeit bereits vollständig mit einem pornofreien Leben abgeschlossen. So fand ich mich mehr und mehr mit meiner Situation ab. Ich versuchte schlussendlich nur noch den Schaden an meinem Herzen, den ich mir durch den Konsum einhandelte, möglichst gering zu halten.

Ein großes Problem besteht darin, dass Pornografie bis heute ein Tabuthema ist. Es wird darüber nicht gesprochen, denn die Thematik ist mit unglaublicher Scham behaftet. Es geht sogar so weit, dass der/die Konsument/in zu glauben beginnt, er/sie sei die einzige Person, die ein Problem mit Pornografie habe.

Massenphänomen Pornografie

Natürlich variieren die Zahlen immer etwas, jedoch sollte – vorsichtig geschätzt – davon ausgegangen werden, dass etwa ein Viertel aller Suchanfragen im Internet mit Pornografie in Verbindung stehen. Unter den Konsumenten liegen die Männer weit vorn. Jedoch zeigt die Statistik, dass auch Frauen zunehmend betroffen sind. Pornografie ist längst zu einem Massenphänomen bzw. einer Epidemie weltweit geworden.

Mein Weg der Heilung begann, als ich eines Tages wieder vor dem Laptop sass und Pornos konsumierte. Da ploppte im Werbebereich ein kleines Fenster auf, das mich neugierig machte: Darauf warb eine Organisation mit einem Online-Programm, das für Betroffene eine Hilfe beim Ausstieg zu bieten versprach.

Und so landete ich dann auf einer christlichen Seite, ähnlich, free!ndeed die in einzelnen Tageslektionen die biblischen Wahrheiten behandelte. Das half mir bereits enorm.

Später nahm mich dann ein guter Kollege, dem ich mich anvertraut hatte, zu einer Selbsthilfegruppe für Männer mit. Diese Gruppe war ein echter Segen. Hier lernte ich offen über meine Sucht zu sprechen und dabei wurde bereits die Macht des Verborgenen gebrochen.

LIM: Wenn ich jetzt selber mit diesem Thema am Kämpfen bin und einen Ausweg suche, wo kann ich Hilfe holen?

Martin: Es gibt verschiedene Wege, wie ich mir als Betroffene/r Hilfe holen kann.

  • Informiere dich über die Möglichkeiten, dich einer Selbsthilfegruppe anzuschließen (Anm. d. Red.: Es gibt bereits mehrere Gruppen in ÖsterreichDeutschland und der Schweiz, in Südtirol ist eine geplant)

  • Gründe selbst eine Zweierschaftsgruppe und vertraue dich einer gefestigten Person in deinem Umfeld an.

 

LIM: Gibt es Prinzipien, die wichtig sind, damit man geheilt wird und welche Rolle spielt Gott dabei?

Martin: Es ist wichtig, dass du mit dem Thema Pornografie nicht für dich bleibst. Denn Sünde gedeiht am besten im Dunklen, im Verborgenen.

Ein weiteres wichtiges Prinzip ist die Rechenschaft. Hierbei verabredet man sich mit einer Person oder Gruppe zu verbindlichen Treffen. Ausserdem sei an dieser Stelle unbedingt eine Schutzsoftware für PC/Mac und Handy empfohlen. Es ist kein Zeichen von Schwäche, einen solchen Schutz zu installieren, sondern vielmehr eine weise Entscheidung, wenn man wirklich frei werden möchte. Jesus spricht klar von einer radikalen Trennung all der Dinge, die zum Fallstrick werden können (Mt 18,8f.).

Schlussendlich sind all diese Dinge lediglich eine Behandlung der Symptome. Die Ursache des Pornokonsums liegt dabei sehr viel tiefer. Oft sind es persönliche Verletzungen, ein inneres Defizit an Liebe oder tiefe Unsicherheit über den eigenen Selbstwert, die zu einer Sucht führen.

Im Grunde laufen bei dem Prozess des Freiwerdens von Pornografie deshalb zwei Prozesse parallel ab:

  • 1. Die Entwöhnung vom Konsumverhalten (durch Hilfsmittel wie Rechenschaft, Schutzsoftware, radikaler Trennung von allem, was das Feuer der Lust neu entzünden kann).

  • 2. Den Prozess der Herzensheilung und Wiederherstellung durch Jesus selbst.

Beim zweiten Punkt kommt es vor allem auf die innere Einstellung und der Bereitschaft zur Kapitulation vor Gott an. Denn erst wenn ich mir selbst eingestehe, dass ich Heilung brauche, und selbst nichts dazu tun kann, kann ich Gott die Erlaubnis geben, mein verwundetes Herz zu heilen. Das braucht freilich Zeit.

LIM: Wie würdest du Pornografie beschreiben?

Martin: Pornografie ist die Suche des Menschen nach Liebe. Als ich im Konsum gefangen war, suchte ich weniger das sexuelle Vergnügen, als vielmehr eine tiefe Liebe und ich wünschte mir, dass ich, so wie ich bin, angenommen würde. Ich glaube, dass jeder Mann, jede Frau, die Pornografie konsumiert oder andere Formen der sexuellen Unreinheit praktiziert, eigentlich auf der Suche nach ganzheitlicher Liebe ist. Eine Sehnsucht nach reiner Liebe, wie sie die Welt so nicht zu stillen vermag.

LIM: Ist Pornografie nur ein Männerthema und wie sieht es in christlichen Gemeinden aus?

Martin: Anonym durchgeführten Umfragen zufolge sind christliche Gemeinden leider etwa in derselben Weise von Pornografie betroffen wie auch dem Glauben fernstehende Menschen. Statistisch gesehen macht die Pornografie also nicht halt vor gläubigen Menschen. Dass ein Christ nichts mit Pornografie zu tun hat, ist eine schöne Vorstellung, geht jedoch leider weit an der Realität vorbei. Es sind auch christliche Führungspersonen von der Thematik betroffen. Oft wird die Pornografie geradezu als Mittel zum Stressabbau eingesetzt. Das zieht sich durch über den Ältestenrat bis hin zum Prediger/Pfarrer.

Ein Tabu, das gebrochen werden muss

Außerdem ist das Bekennen von sexueller Sünde leider immer noch ein großes Tabuthema und mit Existenzängsten verbunden. Wir setzen uns unter anderem dafür ein, dass dieses schamblockierte Denken durchbrochen wird und sich Betroffene an einem geschützten Ort Hilfe und Unterstützung suchen können.

Unter den Konsumierenden sind auch Frauen. So sprechen Frauen in der Regel weniger stark auf visuelle Reize an und fühlen sich mehr zu „romantischen“ Romanen hingezogen. Diese Romane oder „Liebesfilme“ sind einfach eine andere Art der erotischen Zurschaustellung und Ausdruck der Sucht nach virtueller Liebe.

LIM: Warum denkst du, ist Pornografie immer noch ein Tabuthema? Warum spricht man nicht darüber und holt sich keine Hilfe?

Martin: Ich denke das Thema Pornografie ist viel mit Angst verbunden. Das beginnt bereits im privaten Umfeld: Was denken meine Kollegen, Freunde von mir, wenn ich zugebe, dass ich ein Problem mit Pornografie habe? Die Befürchtung vor Gesichtsverlust die hiermit einhergeht ist eine Artikulation des menschlichen Stolzes. Gerade unter Männern ist die Meinung vertreten, dass ein Mann immer stark sein muss und seiner eigenen Probleme Herr sei. Das dachte ich auch lange. Und es änderte sich nichts in meinem Leben.

Eine andere Ursache des Tabus gerade in christlichen Bereichen ist der Umstand, dass in den Gemeinden viel zu wenig von und über Sexualität gesprochen wird (von Pornografie ganz zu schweigen). Das liegt eventuell auch daran, dass bis hin zu den Gemeindeleitungen Menschen betroffen sind.

Ich glaube, dass es heute wichtiger denn je ist, über die menschliche Sexualität in der Ehebeziehung zu sprechen. Wir sollten vor allem in den Gemeinden diese Chance nutzen und bewusst die gottgegebene Sexualität als grundpositives Element in der Ehe proklamieren.

LIM: Kannst du mir eine Website, hilfreiche Bücher rund um das Thema Pornografie empfehlen?

Martin: Es gibt heute, Gott sei Dank sehr viel mehr Websites und Bücher zu diesem Thema als noch vor zehn, fünfzehn Jahren. Ich kann hier nur auszugsweise Empfehlungen aussprechen und will mich auf eine Handvoll Materialien beschränken.

Folgende Bücher möchte ich vorbehaltlos empfehlen:

GENUNG, Mike: Mein Weg zu Heilung

HAMMOND, Jeremy: Frei. Mann. Sein

BÖHM, Susanne: Mein Weg zur Freiheit

Interesse an weiteren Zeugnissen? Hier geht’s lang!

Hier findest du außerdem sehr hilfreiche Online-Kurse für Betroffene und Partner!

Bildnachweis: © Levi Jones/Unsplash

Teile diesen Beitrag