Im Oktober 2018 beschloss die WHO die neueste Version der „internationalen statistischen Klassifikation für Krankheiten“ ICD-11. Zum 1. Jänner 2022 trat das Klassifikationssystem nun in Kraft.

Zwanghaftes Sexualverhalten als psychische Störung

Das Klassifikationssystem repräsentiert den aktuellsten wissenschaftlichen Stand über die verschiedensten körperlichen und psychischen Krankheiten. Dabei lohnt es sich, einen genauen Blick auf die Änderungen zu werfen. Denn Zwanghaftes Sexualverhalten zählt ab sofort zu den Impulskontrollstörungen.

Schätzungen zufolge leidet darunter eine halbe Millionen Menschen allein in Deutschland, mit teilweise gravierenden Folgen für Betroffene und Angehörige. Im Allgemeinen könnten in Industrieländern bis zu 5 Prozent der Bevölkerung betroffen sein. Genaue Zahlen sind nicht bekannt, doch mehr Aufschluss wird durch die neue Diagnose geschaffen.  Laut Robert Jakob, Gruppenleiter Klassifikationen bei der WHO, fallen unter die Störung auch übermäßiger Pornokonsum und Telefonsex.

Kriterien für zwanghaftes Sexualverhalten

Damit psychische Störungen diagnostiziert werden können, müssen gewisse Kriterien erfüllt werden. Zwanghaftes Sexualverhalten kennzeichnet sich durch „intensive, wiederkehrende Sexualimpulse, die über mindestens sechs Monate nicht kontrolliert werden können und das Familien-, Arbeitsleben oder Sozialverhalten beeinträchtigen“ (ICD-11). Generell wird die Störung bei Patienten über 18 Jahren diagnostiziert und wenn kein Medikament als Grund für das Verhalten herangezogen werden kann.

Als Ursache für zwanghaftes Sexualverhalten kommen mehrere Mechanismen im Gehirn in Frage: Möglicherweise entsteht ein Ungleichgewicht von Dopamin, Serotonin und Noradrenalin. Diese sind wichtige Neurotransmitter (Botenstoffe) und regeln die Kommunikation zwischen Nervenzellen im Gehirn. Sie sind unter anderem für unsere Stimmung verantwortlich. Auch das Belohnungssystem ist eine mögliche Ursache der Störung. Dieses wird durch zwanghaftes Sexualverhalten stark stimuliert, wodurch es zu einer Toleranzentwicklung kommt. Es werden also immer stärkere Reize benötigt, um die gleiche Wirkung zu erzielen. Dadurch kommt es sogar zu Erektionsstörungen.

Was ändert sich für Betroffene?

Durch die Aufnahme in das ICD-11 ist ein großer Schritt getan: Pornografieabhängigkeit fällt ab sofort unter psychische Störungen. Das bringt einige Verbesserungen mit sich. Zukünftig kann zwanghaftes Sexualverhalten therapiert werden, bisher mussten Ersatzdiagnosen angegeben werden. Außerdem werden bald schon Statistiken verfügbar sein. So kann genauer ermittelt werden, wie groß das Problem wirklich ist.

Die Techniker Krankenkasse empfiehlt beispielweise folgende Tipps gegen eine Pornografieabhängigkeit:

  1. Informieren: Im Internet findet man viele Informationen und Publikationen zur Pornosucht. Auch auf Youtube und in Foren wie von der NoFap-Community berichten viele Betroffene von der Sucht und wie sie diese überwunden haben.
  2. Abschottung vom Suchtmittel „Porno“: Hier können Filtersoftware und Apps helfen, die den Zugang zu pornografischen Seiten sperrt. Für Kinder eignet sich ein Kinderschutz-Programm für den PC oder das Handy.
  3. Selbsthilfegruppen: Gemeinsam mit anderen Betroffenen lässt sich die Sucht leichter besiegen.
  4. Selbstwertgefühl steigern: Das Selbstwertgefühl sinkt oft bei einer Pornosucht. Hier können ein neues Hobby oder das Entdecken neuer Fähigkeiten helfen.
  5. Entspannung: Da Pornokonsum häufig zum Stressabbau genutzt wird, lohnt es, sich mit anderen Tätigkeiten zu entspannen. Beliebt sind etwa Meditation und Yoga, aber auch Sport kann als sinnvoller Stressabbau dienen.

Safersurfing möchte Menschen, die unter einer Pornografieabhängigkeit leiden, Hilfestellung bieten. Bist du selbst oder jemand in deinem nahen Umfeld betroffen? Auf unserer Website findest du Links zu Selbsthilfegruppen, Beratungsstellen sowie einen kostenlosen Onlinekurs.

 

Bildquelle: ©Nik Shuliahin on unsplash

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